Grundlagen für die Kostenübernahme einer Adipositas-OP


(gültig ab 2010)

Seit 10/2017 gibt es eine überarbeitete Version des Begutachtungsleitfadens.  


Lesen Sie diesen Text, wenn Sie wissen möchten, unter welchen Voraussetzungen eine OP von den Krankenkassen i.d.R. genehmigt wird. Hier finden Sie alle wichtigen Infos!

Rechtlicher Hintergrund
Das Bundessozialgericht hat sich erstmals 2003 mit adipositas-chirurgischen Eingriffen befasst. Gemäß mehrerer gleichlautender Urteile vom 19.2.2003 (z.B. B 1 KR 14/02 R) kommt die Implantation eines Magenbandes nur als Ultima Ratio (also als allerletzte Therapiemöglichkeit) in Betracht und nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung:

  • BMI > 40 kg/m² (BMI > 35 kg/m² mit erheblichen Begleiterkrankungen)
  • Erschöpfung aller konservativen Behandlungsmöglichkeiten
  • Tolerables Operationsrisiko
  • Ausreichende Motivation und Mitwirkung (Compliance) des Patienten
  • Keine manifeste psychiatrische Erkrankung
  • Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung

Diese Auffassung wurde u.a. im Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 (B 1 KR 2/08 R) vertreten.


Begutachtungsleitfaden des MDS vom 21.12.2009
Aufgrund der erhöhten Fallzahlen hat der MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen) einen Begutachtungsleitfaden (vom 21.12.2009) als Hilfestellung für die Krankenkassen zu Bearbeitung von Kostenübernahmeanträgen erstellt. Dieser erhält wichtige Hinweise, welche Bedingungen von den Patienten erfüllt sein müssen um eine Kostenübernahme zu erhalten.

Ich habe die wichtigesten Forderungen zusammengestellt, so dass man einen Überblick über die zu erfüllendem Kriterien erlangen kann:


1. Sind die Einschlusskriterien erfüllt?

  1. Adipositas Grad II (BMI >35 kg/m²) mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen oder Grad III (BMI > 40 kg/m²)
    Schwerwiegende Erkrankungen sind z.B. manifester Diabetes mellitus, schwere arterielle Hypertonie, Schlafapnoe, Erhöhung der Triglyzeride, fortgeschrittene Veränderung des Bewegungsapperates, etc.)
  2. Eine Adipositas verursachende Erkrankung, die anders zu behandeln ist, wurde ausgeschlossen.
    Adipositas kann z.B. durch endokrinologische Erkrankungen wie Morbus Cushing (Kortisol Überproduktion), Hypothyreose (Mangelversorgung mit Schilddrüsenhormonen) oder durch hormonproduzierende Tumore bedingt sein. Diese Erkrankungen müssen ausgeschlossen sein.
  3. Eine KontraIndikation für die Durchführung einer Adipositas-OP liegt nicht vor:
    - Konsumierende und immundefizitäre Erkrankungen
    - Hormonproduzierende Tumore
    - Deutlich erhöhtes (lebensbedrohliches) Risikoprofil, z.B. ausgeprägte kardiopulmonale Funktionsstörungen, schwere Leber- und Nierenerkrankungen, schwere Gerinnungsstörungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, kongenitale Fehlbildungen des Magen-Darmtraktes.
    - Schwangerschaft
    - Abhängigkeit von Drogen und Alkohol
    - Schwere psychische Erkrankungen (u.a. unbehandelte Bulimia nervosa)
    - Erhebliche Intelligenzminderung und/oder Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz
  4. Die konservativen Maßnahmen wurden erfolglos ausgeschöpft:

    Die konservativen Maßnahmen umfassen ein multimodales Behandlungskonzept zur nachhaltigen Verhaltensmodifikation, bestehend aus Ernährungstherapie, Bewegungstherapie und ggf. Verhaltenstherapie.

    Ernährungstherapie: Dauer 6 Monate, nachzuweisen durch einen Ernährungsmediziner und/oder eine anerkannte ernährungstherapeutische Berufsgruppe/Einrichtung. Eigenständige Therapieversuche (diverse Diäten) oder kommerzielle Angebote (Weight Watchers, Formuladiäten, etc.) sind hierfür alleine nicht ausreichend.

    Bewegungsgtherapie: Nachweis durch Mitgliedschaft/Teilnahmebescheinigung an Sportverein/Fitnessklub/Volkshochschule o.ä. möglich (Eigenverantwortung gemäß § 1 SGB V). Angabe von sportlicher Betätigung (2 Std/Woche) im Sinne von Walking/Schwimmen/etc. ist auch möglich. Bei Berufen mit körperlicher Anstrengung (Landwirt, Bauarbeiter, Metzger, …) wird dies als erfüllt vorausgesetzt.

    Verhaltenstherapie: Aufgrund der aktuellen Versorgungslage ist der Nachweis nur schwer möglich. Bei Ausschluss einer schweren psychischen Erkrankung und/oder Essstörung durch das im Antrag beigefügte psychiatrische Gutachten kann auf den Nachweis verzichtet werden.

    Hinweis 1: Ist es innerhalb von 6 Monaten unter Anwendung eines konservativen Therapieregimes zu einer kontinuierlichen Gewichtsreduktion von mindestens 10 Prozent des Ausgangsgewichts gekommen, so sind die konservativen Maßnahmen zunächst fortzusetzen. Soweit nach Beendigung der Therapie das ursprüngliche Gewicht wieder erreicht oder überschritten wird, ist die Behandlung als erfolglos zu bewerten.

    Hinweis 2: Bei Vorliegen eines BMI > 60 kg/m² ist eine relevante Gewichtsbeeinflussung auch unter multimodaler (mehrerer Elemente umfassender) konservativer Therapie nicht zu erwarten. In diesen Fällen wird vorwiegend geprüft ob eine ernährungsmedizinische Betreuung als Vorbereitung auf die postoperative Phase stattgefunden hat.



2. Vorlegen von Antragsunterlagen

Zwingend notwendige Unterlagen

  1. Antrag des Patienten

    Dieser sollte u.a folgende Informationen enthalten
    - Aktuelle Körpermaße (Größe, Gewicht)
    - Seit wann übergewichtig, Bisher höchstes Körpergewicht, Gewicht vor 3 Jahren
    - Hinweis, welche Diäten/Programme wann durchgeführt wurden mit Angabe von Gewichtsverlust und erneuter Zunahme
    - Hinweis zu besuchten Ernährungsberatungen/Bewegungstherapien/Verhaltenstherapien
    - Momentane körperliche Aktivität (Art, Dauer, wie oft)
    - Angaben zu Vorbehandlungen wegen Adipositas (Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörung, Schilddrüsenerkrankung, Herzerkrankung, Orthopädie, etc.)
    - Wo und von wem soll die OP durchgeführt werden
    - Wer übernimmt die Nachsorge
    - Welcher Arzt (Hausarzt) führt die aktuelle Betreuung des Übergewichts
    Bescheinigungen, sofern vorhanden, beifügen.
  2. Gutachten des behandelnden Arztes (Adipositas-Chirurg)
  3. Psychiatrische/psychotherapeutische Stellungnahme
    Ziel ist, spezifische psychische Konstellationen zu identifizieren, die einen postoperativen Therapieerfolg negativ beeinflussen könnten (z.B. Binge Eating, psychische Stressoren, soziales Umfeld, etc.)


Ergänzende Unterlagen, nicht zwingend notwendig

  1. Rehaberichte bei durchgeführten Rehamaßnahmen
  2. aktuelles Pflegegutachten bei Pflegebedürftigkeit
  3. Weitere ärztliche Stellungnahmen zu Begleiterkrankungen
  4. Bescheinigungen zur Teilnahme an Programmen, Selbsthilfegruppen
  5. Ernährungsprotokoll/-tagebuch
  6. Klinische Befunde zu endokrinologischen Grunderkrankungen



3. Entspricht die Operationsmethode dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse?

Methoden, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechen, sind:

  • verstellbares Magenband
  • Der Magenbypass
  • Die biliopankreatische Diversion mit/ohne Duodenal Switch (BPD +/- DS)
  • Die vertikale gastroplastik

Sweet-Eating stellt keinen Ausschluss einer bestimmten Operationsmethode dar. Dies ist wissenschaftlich überholt.

Methoden, die nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechen, sind:

  • Magenballon
  • Magenschrittmacher
  • Fettabsaugung
  • Magenbypass mit Magenband
  • Durch Operationsroboter steuerte Prozeduren
  • Endoskopische (oral-)assistierte Techniken (NOTES)
  • Vagusnerv-Schrittmacher und –Blockade
  • Endobarrier device von GI Dynamics
  • Sonderfall:Sleeve Gastrektomie (Schlauchmagen)
    Aufgrund fehlender Langzeitergebnisse ist aus sozialmedizinischer Sicht folgendes zu empfehlen:
    - bei zweischrittigem Vorgehen (z.B. zur Reduktion des erhöhten Operationsrisikos) als Vorstufe zu einem BPD oder Magenbypass kann das Verfahren indiziert sein.
    - bei einschrittigem/alleinigem Vorgehen: Es sollte alternativ eine anerkannte Methode verwendet werden. Wird jedoch trotzdem an der Schlauchmagenbildung festgehalten, sollte eine im besonderen Maße wissenschaftliche Begleitung (idealerweise in Form einer randomisierten prospektiven Studie) erfolgen.


4. Ist das Zentrum/der Operateur geeignet?
Wird von der Krankenkasse anhand einer vorliegenden Zertifizierung der Klinik bei der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie oder durch Anfrage in der Klinik geprüft.

5. Ist eine lebenslange Nachbehandlung sichergestellt?
Eine lebenslange Nachbetreuung muss bereits vor OP geplant werden, damit:

  • man als Patient keinen unvertretbaren Risiken ausgesetzt ist
  • Früh- und Spätkomplikationen der Operation und metabolische Langzeitkomplikationen der Malabsorption imMineral- und Vitaminstoffwechsel erkannt werden.
  • bei schweren Begleiterkrankungen ggf. deren medikamentöse Neueinstellung erfolgt
  • einer erneuten Gewichtszunahme frühzeitig mit konservativen Methoden gegengesteuert werden kann,
  • eine Beratung zu einer event. geplanten Schwangerschaft erfolgt.


Sind die Kriterien der Schritte 1 bis 5 erfüllt, wird der geplante Eingriff durch den MDK in der vorgesehenen Klinik i.d. Regel empfohlen.

 

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